Dr. med. Leonore Möhring Dipl.-Psych. Monika Brunner Dr. med. Wolfram Decker Claudia Spielberger Ulrike Treptau

Abteilung für Stimm- und Sprachstörungen sowie Pädaudiologie Universitätsklink Heidelberg INF 400 69120 Heidelberg Tel. (0 62 21) 56 72 38

Von Ende 1994 bis Anfang 1996 wurden uns 109 Schulkinder, 38 Mädchen und 71 Jungen mit Rechtschreibschwierigkeiten überwiesen. Die Kinder waren zum Zeitpunkt der Untersuchung 7 bis 12 Jahre alt und besuchten die 2. bis 5. Klasse.

Bei diesen Kindern erwies sich die Rechtschreibleistung nach Testung als unterdurchschnittlich, vereinzelt als knapp durchschnittlich.

Bei allen Kindern führten wir u. a. den dichotischen Diskriminationstest (dD-Test) Wörter nach Feldmann und die Überprüfung der auditiven Merkspanne mittels Prüfung des Zahlenfolgegedächtnis (ZFG) aus dem Psycholinguistischen Entwicklungstest (Angermeier 1974) und mittels der Nachsprechprobe für Kunstsilben nach Mottier aus dem Zürcher Lesetest (Linder, Grissemann 1980) durch.

Die Ergebnisse des dD-Testes bewerteten wir nach Esser (1994) und faßten gute und mäßige Ergebnisse zu einer (n = 72 Kinder) und schlechte und fehlende dichotische Leistungen (n = 37 Kinder) zu einer weiteren Gruppe zusammen. Diese Gruppenzuordnung schien uns wegen der bekannten Altersabhängigkeit der Testergebnisse bei normal leistungsfähigen Schulkindern (Chüden, Göpfert 1975) gerechtfertigt. Bei auffällig schlechtem Ergebnis wiederholten wir den Test zu einem anderen Termin und zusätzlich in einer leichteren Version nach Uttenweiler (1980), um festzustellen, ob überhaupt eine dichotische Leistung nachzuweisen war.

Das Ergebnis des dD-Testes wurde in einer Multivariatanalyse mit:

der Silbenzahl sicher wiederholter Kunstwörter,

der Anzahl sicher wiederholter Zahlen,

dem Alte der Kinder und

dem Geschlecht der Kinder verglichen.

Wir sahen bei allen Kindern einen Zusammenhang des dD-Tests- Ergebnisses mit der auditiven Merkspanne für Kunstwörter (Mottier) (Chi-Quadrat-Test: p = 0,03). Wir sahen dagegen keinen Zusammenhang des dD-Test-Ergebnisses mit der auditiven Merkspanne für Zahlen (ZFG) (p = 0,13). Das Ergebnis des dD-Testes zeigt bei allen Kindern eine Abhängigkeit vom Alter (Chi-Quadrat-Test: p = 0,04). Die Testergebnisse der Jungen unterschieden sich nicht von denen der Mädchen (p = 0,45).

Der dD-Test wurde von H. Feldmann 1964 in Heidelberg ursprünglich zur Lokalisation von zerebralen raumfordernden Prozessen entwickelt; er wird inzwischen nur noch zur Beurteilung der auditiven Wahrnehmung verwandt.

Die Literatur enthält eine Fülle von Arbeiten über diesen und andere dichotische Diskriminationstests, bei deren Wertung der Ergebnisse das Wort "widersprüchlich" die am häufigsten genannte Vokabel ist.

Allgemein akzeptiert ist lediglich die Vorstellung von der stärker linkshemisphärischen funktionalen Überlegenheit für sprachliche Reize - ausgedrückt in einer Rechtsohrführung bei der Bewältigung von dichotischen Aufgaben, weiterhin die Erkenntnis, daß jüngere Kinder dichotische Aufgaben schlechter bewältigen als ältere und daß legasthene Kinder dichotische Aufgaben schlechter bewältigen als Kinder mit normaler Rechtschreibfähigkeit. Darüber hinaus lassen sich die Aussagen über Ergebnisse und Wert dichotischer Diskriminationstests, die zudem in jeder Sprache anders konzipiert sind (Wörter verschiedener Geläufigkeit und Schwierigkeit, Kunstsilben, Zahlen), nur schwer auf einen Nenner bringen.

Neben der bekannten Abhängigkeit des dD-Test-Ergebnisse vom Alter hatten wir den Eindruck, daß die dD-Leistung mit dem auditiven Gedächtnis korreliert.

Es zeigte sich aber bei unseren Untersuchungen, daß die Korrelation nur besteht, wenn mit dem Kurzzeitgedächtnis, welches der Mottier-Test auch mißt, gleichzeitig die auditive Differenzierungsleistung für klangähnliche Konsonanten geprüft wird. Beide Leistungen - Kurzzeitgedächtnis und Differenzierungsfähigkeit - beeinflussen die Entwicklung von Rechtschreibproblemen.

Zusammenfassung

Der dD-Test Wörter (Feldmann) korreliert bei Kindern mit Rechtschreibschwierigkeiten signifikant mit der auditiven Merkspanne für Kunstsilben (Mottier-Test), nicht aber mit der auditiven Merkspanne für Zahlen (ZFG). Bei reduzierter Merkspanne für Kunstsilben ist die dichotische Diskriminierung gleichsinnig reduziert und das Testergebnis allenfalls im Hinblick auf Lateralisationsprobleme relevant.

Bei normalem Ausfall des Mottier-Tests ist statistisch keine schlechte dichotische Diskriminierung zu erwarten.

Weil der dD-Test Wörter jedoch eine komplexere Leistung erfordert als der Mottier-Test, kann er auch Informationen über Konzentrationsfähigkeit, Belastbarkeit und Sprachkompetenz bieten.

Seine Hinweise auf Ohrführung und Lateralisation der Sprachverarbeitung müssen überprüft werden, sobald sinnvolle und zumutbare bildgebende Verfahren zur Verfügung stehen.

Stand: 05.01.2000